Behandlung durch Rheumatologen oder andere Ärzte: Gibt es einen Unterschied?
Patientengemäße Fassung der mit dem DVMB-Forschungspreis prämierten Veröffentlichung „Gesundheitsversorgung und Krankheitslast bei Personen mit axialer Spondyloarthritis in Deutsch-land“ von Privatdozentin Dr. Hildrun Haibel, Dr. Imke Redeker, Prof. Dr. Angela Zink, Dr. Jo-hanna Callhoff, Dr. Ursula Marschall, Prof. Dr. Falk Hoffmann,·Prof. Dr. Joachim Sieper und Prof. Dr. Denis Poddubnyy, erschienen in der Zeitschrift für Rheumatologie 78 (2019) S. 865–874
Da unklar ist, wie umfassend die fachärztliche rheumatologische Versorgung die Patienten mit axialer Spondyloarthritis (Morbus Bechterew und ihre Frühform) erreicht und inwieweit die Versorgung mit Heilmitteln, Hilfsmitteln und Rehabilitation abgesichert ist, haben wir versucht, mit Hilfe von Abrechnungsdaten der BARMER Krankenkasse und einer Patienten-Befragung Klarheit über die Versorgungssituation von Patienten mit axialer Spondyloarthritis in Deutschland zu gewinnen.
Eine Stichprobe von 5000 Patienten erhielt im Herbst 2015 einen Fragebogen zugeschickt, in dem nach krankheitsbezogenen Parametern und dem Gesundheitsverhalten gefragt wurde.
Ergebnisse
Insgesamt beantworteten 1741 Patienten die Fragen zur rheumatologischen Versorgung und wurden in die Analyse einbezogen.
Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 55,9 Jahre. Das Alter bei Symptombeginn betrug im Mittel 30,6 Jahre und das Alter bei Diagnosestellung im Mittel 36,3 Jahre. Daraus ergibt sich eine mittlere Diagnoseverzögerung um 5,7 Jahre (bei männlichen Patienten 4,9 Jahre, bei weiblichen Patienten mit 6,6 Jahren signifikant länger).
Die Diagnose wurde laut Patientenangabe bei 36% von einem Rheumatologen gestellt, bei 44% von einem Orthopäden und bei 24% vom Hausarzt. Durchschnittlich waren 86% der Patienten HLA-B27-positiv.
Als Begleiterkrankung erwähnten 9% der Patienten eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung in der Vergangenheit oder Gegenwart, 27% eine Uveitis und 15% eine Psoriasis. Laut Abrechnungsdaten fand sich im Jahr 2015 bei 5,6% eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, bei 8,5% eine Uveitis und bei 9,7% eine Psoriasis.
Die Mitgliedschaft in einer Selbsthilfevereinigung war selten: 7% waren Mitglied der Deutschen Rheuma-Liga und 13% Mitglied der Deutschen Vereinigung Morbus Bechterew.
Krankheitsaktivität
Der BASDAI als Maß für die Krankheitsaktivität betrug im Mittel 4,5 auf einer Skala von 0 bis 10. Einen BASDAI von mindestens 4 hatten 59% der Befragten. Der durchschnittliche BASFI1 als Maß für die Behinderung betrug im Mittel 4,1 auf einer Skala von 0 bis 10. Die Befragten berichteten von durchschnittlich 7,1 geschwollenen und/oder schmerzhaften Gelenken.
Medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlung
Insgesamt erhielten laut Abrechnungsdaten 78% der Befragten eine medikamentöse Therapie (Tabelle 1). 59% der Befragten erhielten ein NSAR und 22% ein nicht-opioides Schmerzmittel. 16% erhielten Opioide und 17% der Befragten ein Biologikum. Dies war nahezu ausnahmslos ein TNF-alpha-Blocker. Patienten, die ein Biologikum erhielten, hatten durchschnittlich einen BASDAI von 4,2 und 53% einen BASDAI von mindestens 4. Patienten, die kein Biologikum erhielten, hatten einen durchschnittlichen BASDAI von 4,6 und in 61% der Fälle einen BASDAI von mindestens 4.
Physiotherapie erhielt ca. die Hälfte (52%) der Befragten.
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| Tabelle 1: Therapie der axialen Spondyloarthritis durch Rheumatologen und Nicht-Rheumatologen |
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| Gesamt | durch | durch Nicht-Rheumatologen |
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| Medikamente | 78% | 92% | 66% |
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| NSAR | 59% | 69% | 51% |
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| Schmerzmittel | 22% | 27% | 19% |
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| Opioide | 16% | 18% | 14% |
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| Corticosteroide | 20% | 29% | 12% |
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| TNF-Blocker | 17% | 34% | 3% |
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| Sulfasalazin | 6% | 10% | 3% |
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| Methotrexat | 6% | 11% | 1% |
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| Physiotherapie | 52% | 60% | 46% |
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Gesundheitsverhalten
Der Body-Mass-Index (BMI) der Gesamtgruppe betrug im Durchschnitt 27 kg/m2. Bewegungsmangel gaben 24% der Befragten an. Veränderungen im Lebensstil wurden folgendermaßen angegeben: 40% hatten die Ernährung wegen der Spondyloarthritis umgestellt, 18% auf das Rauchen verzichtet, und 66% gaben an, mehr Sport zu treiben.
| Tabelle 2: Gesundheitsverhalten der Patienten mit einer axialen Spondyloarthritis je nach behandelndem Arzt |
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| Gesamt | beim Rheumatologen | beim Nicht-Rheumatologen |
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| Body-Mass-Index | 27 kg/m2 | 27 kg/m2 | 27 kg/m2 |
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| Rauchen aktuell | 19% | 21% | 16% |
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| Rauch-Verzicht | 18% | 17% | 20% |
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| Bewegungsmangel | 24% | 24% | 25% |
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| mehr Sport | 66% | 68% | 64% |
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| Ernährungsumstellung | 40% | 44% | 37% |
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| DRL-Mitglied | 7% | 9% | 5% |
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| DVMB-Mitglied | 13% | 14% | 12% |
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Unterschiede nach Art der Betreuung (Rheumatologe oder Arzt einer anderen Fachrichtung)
Für 64% der Befragten war nach eigenen Angaben ein Rheumatologe der Hauptansprechpartner, für 24% ein Orthopäde und für 38% der Hausarzt. In den Tabellen 1 und 2 sind die Ergebnisse auch getrennt nach Art der Betreuung durch einen Rheumatologen oder einen anderen Arzt gezeigt.
Patienten in rheumatologischer Betreuung erhielten signifikant häufiger eine medikamentöse Behandlung. Insbesondere erhielten 34% der rheumatologisch betreuten Patienten eine Biologika-Therapie im Gegensatz zu lediglich 3% der nicht rheumatologisch betreuten Patienten. Auch wurde durch Rheumatologen signifikant mehr mit Steroiden, klassischen Basistherapeutika (u. a. Methotrexat) und Physiotherapie behandelt (Tabelle 1).
In Bezug auf das Gesundheitsverhalten waren Patienten, die von einem Rheumatologen betreut wurden, signifikant häufiger Raucher, und nur ein geringerer Anteil gab an, auf das Rauchen zu verzichten. Signifikant mehr beim Rheumatologen behandelte Patienten gaben an, eine Ernährungsumstellung vorgenommen zu haben und mehr Sport zu treiben (Tabelle 2). Auch waren Patienten, die von einem Rheumatologen betreut wurden, signifikant häufiger Mitglied einer Selbsthilfeorganisation als Patienten, die nicht durch Rheumatologen betreut wurden.
Diskussion
Ein Grund dafür, dass sich mehr als die Hälfte der Patienten nicht in rheumatologischer Betreuung befand, durfte die unzureichende Anzahl der Rheumatologen sein, die für die ambulante Versorgung zur Verfügung stehen2.
Aus den Daten ist zu entnehmen, dass die vom Rheumatologen betreuten Patienten einen geringfügig höheren BASDAI haben als andere Patienten, sowie einen höheren BASFI als Zeichen für eine schwerere Erkrankung. Zudem haben rheumatologisch betreute Patienten mehr schmerzhafte/ geschwollene Gelenke und sind signifikant häufiger Raucher – ein Risikofaktor für einen schwereren Verlauf.
Hervorzuheben ist, dass von den Patienten in rheumatologischer Behandlung mehr als 90% Medikamente verschrieben bekommen. Insbesondere erhielten 34% ein Biologikum. Dies kann ebenfalls als Zeichen der schwereren Betroffenheit von Patienten in rheumatologischer Betreuung gewertet werden. Es ist aber auch ein Zeichen dafür, dass im Gegensatz zu anderen Ärztegruppen Rheumatologen den Patienten mit hoher Krankheitsaktivität Zugang zu einer effektiven Therapie ermöglichen. Mehr als 60% der Patienten, die nicht in rheumatologischer Betreuung waren, hatten ebenfalls einen BASDAI von mindestens 4. Diese Gruppe ist möglicherweise therapeutisch unterversorgt, denn nur etwas mehr als die Hälfte dieser Patienten erhielt eine Therapie mit NSAR, und lediglich 3% dieser Patienten erhielten ein Biologikum (Tabelle 1).
Patienten in rheumatologischer Behandlung erhielten auch signifikant mehr geeignete begleitende Maßnahmen wie Physiotherapie, stellten häufiger ihre Ernährung um und machten mehr Sport, was für eine umfassendere Betreuung und Aufklärung in rheumatologischen Praxen spricht.
2 Ein anderer Grund ist sicher, dass Patienten, die beim Rheumatologen auf ein wirksames Medikament eingestellt wurden, sich dieses Medikament danach einfacher regelmäßig vom Hausarzt (oder vom Betriebsarzt) verschreiben lassen können, Anmerkung der Redaktion.
Anschrift der erstgenannten Verfasserin:
Abteilung für Rheumatologie, Charité Campus Benjamin Franklin
Hindenburgdamm 30, 12203 Berlin, hildrun.haibelcharitede