Erfahrungsbericht

Andreas Schwietzke

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„Meine innere Welt bekommt er nicht!“

Schon seit meiner Jugend hatte ich mit Rückenproblemen zu kämpfen. Es gab Phasen, in denen ich in der Nacht nur 2 oder 3 Stunden am Stück schlafen konnte.

Mit Orthopäden hatte ich damals nur schlechte Erfahrungen gemacht, meist interessierten sie sich schlichtweg nicht für meine Probleme. Während meiner Zivildienstzeit in einem Behindertenzentrum musste ich tagtäglich Menschen aufrichten, aus den Rollstühlen heben usw., was mich manchmal körperlich überforderte. Als ich einmal wegen besonders starker Rückenschmerzen beim Orthopäden vorsprach, hat dieser mich noch nicht einmal körperlich untersucht, gab mir aber nach seiner „Behandlung“ einen geschlossenen Brief für meinen Hausarzt mit. Natürlich habe ich den Brief beim Verlassen der Praxis geöffnet – und musste zu meinem Erstaunen und Ärger lesen, dass er mich für einen Simulanten hielt und eine weitere Behandlung als unnötig erachtete. Diese Unterstellung und Frechheit hatte mein Vertrauensverhältnis zu Orthopäden grundsätzlich zerstört.
Mit 25 Jahren erkrankte ich dann an Hoden-Krebs und musste zwei Operationen durchstehen, von denen heute noch eine riesige Narbe und 10 Klammern im Körper zeugen. Ich habe entgegen den Prognosen der Ärzte überlebt, aber meine Sicht auf das Leben hat sich danach radikal verändert.

So war ich nun wesentlich fokussierter und bewusster in meinen Lebenszielen. Nach einer längeren Rekonvaleszenz-Zeit begann ich zu studieren, zunächst für kurze Zeit Philosophie, Soziologie und Psychologie, dann aber interessierte mich das Freie-Kunst-Studium mehr. Ich konzentrierte mich schließlich auf dieses als einziges Fach und vervollständigte meine Fähigkeiten in Malerei und Grafik. Es war eine unbeschwerte und arbeitsreiche Zeit, mit einem großen Atelier und der Möglichkeit, das zu tun, was mir am meisten bedeutet: künstlerisch tätig zu sein, und das ohne finanzielle Schwierigkeiten.
Nach dem Abschluss bekam ich ein Auslandsstipendium, und da ich schon während des regulärem Studiums eine Ausstellung in Madrid hatte und mich auf Anhieb in diese Stadt verliebt hatte, ging ich natürlich nach Madrid. Es war eine gewaltige Umstellung, aber trotz aller Widrigkeiten – wie z.B. der Sprachbarriere – war ich immer noch begeistert von dem pulsierenden Leben dieser Großstadt. Ich fühlte mich einfach wohl. Auch das trockene Klima sowie die langen sonnigen Zeiten taten meinem Körper gut. So blieb ich auch nach dem Stipendium dort, für insgesamt 20 Jahre, anfänglich als freischaffender Künstler, Bühnenbildner, Grafiker, Übersetzer und Sprachlehrer. Es war eine sehr arbeitsintensive Phase, mit wenig Zeit für Rücksichtnahme auf den eigenen Körper.

Mein Leben als Freischaffender änderte sich jedoch mit der Wirtschaftskrise in Spanien: Aufträge und Kunden blieben weg, und so war ich gezwungen, mich nach einer festen Anstellung umzusehen. Letztendlich landete ich bei einer großen Marketingfirma in der Personalleitung, wo ich – obwohl ohne entsprechende Vorerfahrung – im Laufe der Zeit immer mehr Verantwortung übernehmen musste, zuletzt auch die Durchführung von Entlassungen. Nach über 100 abgewickelten Entlassungen machte sich der psychische und physische Stress bei mir bemerkbar: mit ständiger Steifheit in Nacken und Hüfte, ich konnte nur noch unter der täglichen Einnahme von Schmerzmitteln weiterarbeiten. Diese Art der Arbeit wollte ich nicht mehr weiter ausüben – zum Glück wurde mir die Entscheidung zur Kündigung abgenommen, da die Firma in Konkurs ging. So war ich damals wohl der Einzige, der sich innerlich über den Konkurs der Firma freute und zum Schluss mit Freuden sich selber entlassen musste.

Selbst während der festen Anstellung habe ich bei mir zu Hause täglich an meinen Bildern weitergearbeitet, aber es fiel mir immer schwerer, stundenlang vor der Staffelei oder dem Zeichentisch zu stehen. Mein Körper krümmte sich immer mehr. Dank der treuen Sammler meiner Bilder und einer Abfindung konnte ich mich finanziell über Wasser halten, aber mein körperlicher Zustand war erbarmungswürdig. Kein durchgehender Schlaf mehr, ständige Einnahme von Schmerzmitteln und nur wenige wirklich schmerzfreie Phasen. Eines Tages konnte ich nach dem Aufstehen meine Arme nicht mehr höher als 45 Grad heben. Da wurde mir endgültig klar, dass ich einen Spezialisten brauchte. Glücklicherweise war eine Freundin von mir in der pharmazeutischen Branche tätig und kannte daher viele Ärzte. Ich fuhr mit ihr zu einem bekannten Rheumatologen nach Toledo: Dieser Arzt hat mich nur angesehen, mich ein paar Schritte gehen lassen und den Rücken untersucht, um mir die Diagnose Morbus Bechterew mitzuteilen. Ich hatte noch nie zuvor von dieser Krankheit gehört, aber es war enorm erleichternd für mich, meine Beschwerden endlich benennen zu können. Nach seiner Empfehlung ging ich zu einer Kollegin in Madrid und diese bemühte sich wirklich sehr. Aber zu dieser Zeit wurden in Spanien rigorose Sparmaßnahmen beschlossen, und das machte sich auch im Gesundheitssektor bemerkbar. So gab es z.B. lange Wartezeiten bei einer Physiotherapie, ganz zu schweigen von den neuen wirkungsvolleren Medikamenten – und meine Krankschreibung wurde trotz ärztlicher Belege nicht verlängert.

Schließlich führte die Sorge um mein eigenes Wohl und das meiner Mutter in Deutschland, die zu diesem Zeitpunkt schon über 80 Jahre alt war, zu dem Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren. Meine spanischen Freunde waren von dieser Entscheidung überhaupt nicht begeistert, aber ich packte meine Siebensachen und zog nach Bruchsal. Die Umstellung war enorm schwierig und ich brauchte längere Zeit, um mich wieder an Deutschland zu gewöhnen. Es war nicht einfach, aber ich hatte zuvor schon so viele Veränderungen gemeistert, dass ich sicher war, auch das zu bewältigen.

Mit diesem neuen Lebensabschnitt orientierte ich mich auch künstlerisch neu. Ich schaffte es nicht mehr, Bilder zu malen oder in gebückter Stellung über dem Zeichentisch zu verharren, also beschäftigte ich mich mit der digitalen Grafik am Computer. Ich brachte mir die Handhabung der dazu nötigen Programme selber bei und bin heute wieder in der Lage, mich mit dieser Technik perfekt auszudrücken.

Hier in Deutschland klangen die Bechterew-Schübe allmählich ab, dafür wurden aber die Nebenwirkungen umso häufiger. Ich war und bin aufgrund von irgendwelchen Infektionen häufig krank, mein Immunsystem ist arg geschwächt und vor ein paar Jahren kam es zu einem Nierenversagen, das eine Cortison-Therapie notwendig machte und mich bis heute begleitet. Dazu kam noch eine Polyneuropathie, die zum Glück nur meine Füße betrifft.

Heute lebe ich sehr zurückgezogen, widme mich intensiv meiner Kunst, die mir alles gibt, und betreue meine Mutter, die nun 91 Jahre alt geworden ist und meine Aufmerksamkeit benötigt.

In Spanien hatte ich im letzten Jahr einen Text zu meiner Erkrankung geschrieben. Hier ein kleiner Auszug daraus. „Ich war zornig auf meinen Körper und suchte jemanden, der mir diesen Zorn nehmen konnte. Endlich schenkte man meinen Beschwerden Aufmerksamkeit und untersuchte, was schon längst hätte untersucht werden müssen. Aber mein stetiger Begleiter Bechterew hatte sich schon mehr von mir genommen, als ihm zugestanden hätte. Er hatte mein Rückgrat fast gänzlich in ein Stück krummen Bambus versteift und dafür gesorgt, dass sich mein Blick immer mehr auf den Boden richtet, wo ich beim Gehen in der Sonne meinen krummen Schatten betrachten muss. Nun gibt es für mich draußen keine hohen Häuser mehr und meine sichtbare Welt reicht nur noch bis zur Brusthöhe. Und doch fühle ich, wie andere mich betrachten und ihre Blicke fragen, warum läuft er nur so krumm? So hat mein Begleiter die äußere Welt für mich beschnitten, aber meine innere Welt, die in mir ruht, bekommt er nicht.“

Meine Bilder kann man auf Facebook und neuerdings auch auf Instagram betrachten, wo ich jeden Freitag ein neues Bild veröffentliche.

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