Morbus Bechterew und Krafttraining

Vereinfachter Kurzbericht über die Veröffentlichung „Spondyloarthritis and Strength Training: a 4-Year Report“

 

von Cannataro R, Di Maio L, Malorgio A, Levi Micheli M, Cione E, erschienen in Journal of Functional Morphology and Kinesiology 2021 Jun 24;6(3):58. doi: 10.3390/jfmk6030058. PMID: 34202441; PMCID: PMC8293414

Zusammengefasst und erweitert um ergänzende Erläuterungen von Julia Messner, MBJ-Redaktion und Physiotherapeutin der DVMB-Gruppe Augsburg 

Kettlebells, Foto © FS-Stock – stock.adobe.com

 

Begleitet wurde der Fall einer 50-jährigen Frau, bei der im Alter von 44 Jahren Morbus Bechterew (axiale Spondyloarthritis) diagnostiziert wurde. Nach einem speziellen Krafttrainingsprogramm ging die Krankheit 2018 in Remission, das heißt, die Krankheitssymptome haben nachgelassen und die medikamentöse Behandlung wurde pausiert. In diesem Zeitraum erzielte sie die italienische Meisterschaft im Kreuzheben und im Powerlifting, beide jeweils für zwei aufeinanderfolgende Jahre. Im Jahr 2020 kam es während des COVID-19-Lockdowns zu einem erneuten Aufflammen und die Behandlung mit Medikamenten wurde wieder aufgenommen.

Die Therapie bei Morbus Bechterew umfasst in der Regel die Physiotherapie, medikamentöse Therapie und körperliche Bewegung. Da die körperliche Betätigung mit Widerstandsbelastung nach wie vor umstritten ist, möchten die Autor:innen der Studie mit dem Fallbericht die Hypothese stützen, dass Krafttraining auch bei Erkrankungen wie Morbus Bechterew wirksam sein kann. Wie bereits in der letzten Ausgabe des Morbus-Bechterew-Journals (MBJ 175) vorgestellt, wird mittlerweile vermehrt Hochintensitäts- und/oder Krafttraining mit ermutigenden Ergebnissen angewendet.

(Erläuterung: Was versteht man unter Krafttraining? siehe unten) 
 

Vorstellung der Patientin

Die Patientin ist zu Beginn des Programms eine 50-jährige Frau, bei der im Alter von 44 Jahren Morbus Bechterew (axSpA) mittels HLA-B27-Genotypisierung festgestellt wurde. Sie befand sich ein Jahr lang (von 2016 bis 2017) in Biologika-Therapie und hat keine weiteren Krankheiten. Trotz der Therapie klagt sie über Schmerzen, Schlafprobleme und Schwierigkeiten bei einigen täglichen Handlungen. Sie kam anfangs mit Hilfe einer Krücke zur Untersuchung.
 

Wie wurden die Fortschritte gemessen? 

Eine Bewertung von Schmerzen und Lebensqualität wurde anhand verschiedener wissenschaftlicher Fragebögen durchgeführt. Zur Messung der Körperzusammensetzung (Wasseranteil, Fett- und Muskelmasse) wurde die Bioimpedanzanalyse (BIA) genutzt.

(Erläuterung: BIA siehe unten) 


Das Trainingsprogramm 

Der Fokus lag auf dem Krafttraining mit hoher Belastung, wobei HIIT (High-Intensity Interval Training –Erläuterung: Was ist HIIT? siehe unten) ergänzt wurde.
Das Trainingsprogramm wurde Schritt für Schritt angepasst und gesteigert. In den ersten Tests empfand die Patientin das Gehen auf einem Laufband bei einer Geschwindigkeit von 5 km/h und einer Steigung von 5 % als anstrengend (die wahrgenommenen Anstrengung bewertete sie auf einer Skala von 10 mit 7).

  • Die ersten drei Monate waren daher ausschließlich der Wiederherstellung der Gelenkbeweglichkeit mit sehr einfachen Körperübungen gewidmet. 
  • Nach drei Monaten wurden die ersten HIIT-Zirkel eingeführt, jedoch von moderater Intensität und mit schrittweiser Einführung von Belastungen. 
  • Nach fast einem Jahr wurden durch z. B. Kettlebells belastendere Gewichte eingeführt, um den Rumpf zu stärken, und die HIIT-Zirkel wurden intensiviert. 
  • Mitte 2017 wurden Kniebeugen und Kreuzheben mit Langhanteln mit einer Serie von 10 Wiederholungen und Gewichten von 25–30 kg eingeführt. Die Intensität der HIIT-Zirkel stieg an, um Herzfrequenzen von 140–160 Schlägen pro Minute zu erreichen. Das Laufband wurde bei einer Geschwindigkeit von 6,2 km/h und einer Steigung von 7 % mittlerweile als Aufwärm­übung empfunden. 
  • Anfang 2018 wurden 5 Kreuzheben-Wiederholungen mit 65 kg als „schwer“ empfunden. Ab diesem Zeitpunkt wurden drei wöchentliche Bankdrücken- und Kreuzheben-Workouts durchgeführt. 
  • Mitte 2018 betrugen die Gewichte für Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben jeweils 60, 45 und 100 kg. 
  • Vier Monate später waren es 77,5, 50 und 115 kg. 

(Erläuterung: Was ist Powerlifting? siehe unten)


Der Ernährungsplan

Die Patientin folgte einem Ernährungsplan mit einer Proteinaufnahme von 1g × kg Körpergewicht, einer Fettaufnahme von 0,7g × kg Körpergewicht und der verbleibenden Kalorienzufuhr aus Kohlenhydraten, um die Kalorienmenge zu gewährleisten und ein Defizit von etwa 200 kcal im Vergleich zu den vorherigen Gewohnheiten zu erreichen. Eine tägliche Zufuhr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten wurde sichergestellt und mit zusätzlichen Nahrungsergänzungsmitteln wie Fischöl, Vitamin C und Vitamin D ergänzt. 

Während des Wiederauftretens der Entzündungen 2020 machte die Patientin eine ketogene Diät für drei Monate mit weniger als 30 g Kohlenhydraten pro Tag, das Kaloriendefizit betrug 250 kcal.

(Erläuterung: Was ist eine ketogene Diät? siehe unten) 
 

Die Ergebnisse 

Zu Beginn des Jahres 2019 bestritt die Patientin den ersten Kreuzheben-Wettbewerb mit 120 kg. Den Höhepunkt erzielte sie mit den beiden Siegen bei der italienischen Meisterschaft im Kreuzheben. Beim Powerlifting in den Jahren 2019 und 2020 erreichte sie die Rekorde von 132,5 kg beim Kreuzheben (italienischer Rekord) und 100,5, 52,5 und 125 kg bei Kniebeugen, Bankdrücken und Kreuzheben (italienischer Rekord).

Die Daten aus den Fragebögen (WOMAC, SQS und RAND-36) und aus der BIA-Analyse zeigen nach zwei Jahren eine deutliche Verbesserung sowohl des physischen Zustand als auch des Gemütszustands der Patientin: Sie reduzierte ihr Gewicht, baute Muskelmasse auf, verbesserte ihre Gesamtkondition und auch die Wahrnehmung ihrer Krankheit verbesserte sich, sodass sie selbst die Wiederaufnahme der Medikamententherapie mit Gelassenheit erlebte.
 

Fazit 

Morbus Bechterew hat einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität. In diesem Fallbeispiel ist eine Verbesserung sowohl in physiologischer als auch in psychologischer Hinsicht aufgetreten. 

Die Autor:innen betonen, dass das Ergebnis nicht als Standard betrachtet werden kann. Wahrscheinlich war die Patientin trotz der Diagnose sowohl physisch (Knochenstruktur, Gelenkhebel) als auch psychisch (Entschlossenheit und Freude am Wettbewerb) besonders geeignet, was letztendlich zu ihren herausragenden Ergebnissen und sportlichen Erfolgen beigetragen hat.
 
Diät und Nahrungsergänzungsmittel würden, so die Autor:innen, häufig in der Therapie angewendet, aber von Krafttraining werde oft (noch) abgeraten. Krafttraining könne bei Morbus Bechterew, auch mit hohen Lasten, aber in einem progressiven und überwachten Rahmen, als eine sinnvolle Option für Betroffene betrachtet werden, um die Therapie zu unterstützen und die Lebensqualität zu verbessern. 

Die gesamte Studie finden Sie hier.  

 


Ergänzende Erläuterungen der Redaktion:


1. Was versteht man unter Krafttraining?

Krafttraining ist eine Form des körperlichen Trainings, das darauf abzielt, die Muskulatur durch Widerstand zu stärken, um die körperliche Leistungsfähigkeit zu verbessern. Es beinhaltet das gezielte Heben von Gewichten oder den Widerstand an Geräten, um die Muskeln zu beanspruchen und zu stärken. Krafttraining kann mit verschiedenen Methoden durchgeführt werden, einschließlich freien Gewichten wie Hanteln und Langhanteln, Geräten, Widerstandsbändern oder dem eigenen Körpergewicht.

Die Hauptziele des Krafttrainings sind:

  • Muskelkraftaufbau: Durch die Überwindung von Widerstand wird die Muskulatur gestärkt.
  • Muskelmasse erhöhen: Krafttraining kann das Muskelvolumen vergrößern und so zu einer Zunahme der Muskelmasse führen.
  • Verbesserung der Körperzusammensetzung: Es kann helfen, die Muskelmasse zu erhöhen und somit den Körperfettanteil zu reduzieren.
  • Steigerung der Stoffwechselrate: Muskelgewebe verbrennt Kalorien, daher kann Krafttraining den Stoffwechsel ankurbeln.
  • Verbesserung der Funktion und Leistung: Krafttraining kann die allgemeine körperliche Leistungsfähigkeit, die Gelenkbeweglichkeit und die Körperhaltung verbessern.

Es gibt verschiedene Trainingsmethoden, darunter das Training mit hohen oder niedrigen Wiederholungszahlen, das Training auf Kraftausdauer oder Maximalkraft. Die Auswahl der Methode hängt von den individuellen Fitnesszielen und der körperlichen Verfassung ab. Es ist wichtig, Krafttraining sicher und effektiv durchzuführen, weshalb Anfänger im besten Fall von Experten angeleitet werden.


2. Die Bioimpedanzanalyse (BIA)

Die BIA misst insbesondere des Verhältnisses von Fett zu magerem Gewebe. Sie basiert auf der elektrischen Leitfähigkeit verschiedener Gewebe im Körper und wird oft für Fitness- und Gesundheitsbewertungen verwendet, um den Fortschritt bei Trainingsprogrammen zu verfolgen und eine grobe Vorstellung von Körperzusammensetzung und Hydratationsstatus zu bekommen.


3. Was ist HIIT?

HIIT steht für „High Intensity Interval Training“ und ist eine Trainingsmethode, die kurze, intensive Übungsintervalle mit Perioden leichterer Aktivität oder Ruhephasen kombiniert. Das Ziel von HIIT ist es, in kurzer Zeit maximale Ergebnisse zu erzielen und die Fitness zu verbessern. Hier sind einige grundlegende Merkmale von HIIT-Training:

  • Intervalltraining: HIIT basiert auf Intervallen, die zwischen hochintensiven und weniger intensiven oder ruhigen Phasen wechseln. Zum Beispiel könnten Sie 30 Sekunden lang intensiv sprinten und dann 30 Sekunden lang leicht joggen oder gehen.
  • Hohe Intensität: Während der intensiven Intervalle wird eine hohe Herzfrequenz angestrebt, um den Stoffwechsel zu steigern und Kalorien zu verbrennen. Dies kann durch schnelles Laufen, Radfahren, Seilspringen, Burpees oder andere intensive Übungen erreicht werden.
  • Kurze Dauer: Eine HIIT-Sitzung dauert normalerweise nicht sehr lange, typischerweise zwischen 15 und 30 Minuten. Obwohl kurz, kann sie aufgrund der hohen Intensität dennoch sehr effektiv sein.
  • Vielseitigkeit: HIIT kann mit verschiedenen Übungen und Sportarten durchgeführt werden, sodass es sich leicht an verschiedene Fitnesslevels und Präferenzen anpassen lässt.
  • Nachbrenneffekt: Ein Vorteil von HIIT ist der sogenannte „Nachbrenneffekt“ oder "Exzess-Nachbrennen“. Dies bedeutet, dass Ihr Körper nach dem Training weiterhin Kalorien verbrennt, um sich zu erholen und Sauerstoffschulden auszugleichen.

HIIT kann verschiedene Vorteile bieten, darunter verbesserte aerobe Fitness, Fettabbau, Gewichtsverlust, erhöhte Muskelmasse und bessere Blutzucker- und Blutdruckkontrolle. Es ist jedoch wichtig, vor Beginn eines HIIT-Programms den eigenen Gesundheitszustand zu berücksichtigen und gegebenenfalls mit einem Gesundheitsdienstleister zu sprechen.


4. Was ist Powerlifting?

Powerlifting ist eine Kraftsportart, bei der Athleten in drei Hauptdisziplinen ihre maximale Kraft messen. Die Sportart konzentriert sich auf die absolute Stärke und erfordert eine Kombination aus Muskelkraft, Technik und mentaler Stärke. Die drei Hauptübungen im Powerlifting sind:

  • Kniebeugen: Der Athlet hebt eine Langhantel von einer stehenden Position, senkt sich dann in eine Kniebeuge und kehrt zur aufrechten Position zurück. Die Tiefe der Kniebeuge und die korrekte Ausführung sind entscheidend.
  • Bankdrücken: Der Athlet liegt auf einer Bank und drückt eine Langhantel von der Brust aus nach oben. Die Füße müssen flach auf dem Boden stehen, und der Athlet muss die volle Kontrolle über die Langhantel haben.
  • Kreuzheben: Der Athlet hebt eine Langhantel vom Boden auf, indem er sich in einer kontrollierten Bewegung aufrichtet. Die Hüfte und die Knie müssen am Ende der Bewegung vollständig ausgestreckt sein.

Powerlifting-Wettbewerbe werden nach Gewichtsklassen organisiert, und jeder Athlet hat drei Versuche in jeder Disziplin, um die maximale Last zu heben. Die Summe der erfolgreich gehobenen Gewichte in den drei Disziplinen ergibt die Gesamtwertung des Athleten. Powerlifting erfordert nicht nur körperliche Stärke, sondern auch technisches Geschick und mentale Ausdauer.


5. Was ist eine ketogene Diät?

Auch kurz als Keto-Diät bezeichnet, ist eine kohlenhydratarme und fettreiche Ernährungsform, die darauf abzielt, den Körper in einen Zustand der sogenannten Ketose zu versetzen. In der Ketose produziert der Körper Ketone aus Fett, die als alternative Energiequelle für das Gehirn und den Körper dienen, wenn nicht genügend Kohlenhydrate verfügbar sind.

Die grundlegenden Prinzipien einer ketogenen Diät sind:

  • Niedriger Kohlenhydratgehalt: Die Diät erlaubt nur eine sehr begrenzte Menge an Kohlenhydraten, normalerweise etwa 20-50 Gramm pro Tag. Dies bedeutet, dass zuckerhaltige Lebensmittel, Brot, Nudeln, Reis und stärkehaltiges Gemüse eingeschränkt oder vermieden werden.
  • Mittlerer Proteingehalt: Der Proteingehalt bleibt moderat, um den Körper nicht in die Glukoneogenese zu treiben, einen Prozess, bei dem Proteine in Glukose umgewandelt werden. Fleisch, Fisch, Eier und Milchprodukte sind übliche Proteinquellen.
  • Hoher Fettgehalt: Der Hauptbestandteil der Nahrung sind gesunde Fette wie Avocados, Nüsse, Samen, Olivenöl und fettreiche tierische Produkte. Der Körper verwendet diese Fette als Hauptenergiequelle.
  • Durch den Mangel an Kohlenhydraten schaltet der Körper von der Verwendung von Glukose als Hauptenergiequelle auf die Verbrennung von Fett um und produziert dabei Ketone. Dieser Zustand wird als Ketose bezeichnet.

Menschen folgen der ketogenen Diät aus verschiedenen Gründen, darunter Gewichtsverlust, Verbesserung der Blutzuckerwerte bei Diabetes, Steigerung der mentalen Klarheit und Energie oder als unterstützende Maßnahme bei bestimmten neurologischen Erkrankungen. Es ist wichtig zu beachten, dass nicht jeder Körper gleich ist, und bevor man eine so drastische Ernährungsumstellung vornimmt, ist es ratsam, dies mit einem Ernährungsexperten zu besprechen.