Existenzsicherung im Krankheitsfall
Von Meike Schoeler, Justitiarin der DVMB
„Morbus Bechterew ist keine Krankheit, sondern ein Zustand.“ Mit diesem Zitat eines langjährigen Morbus-Bechterew-Patienten möchte ich einen Blick auf die soziale Absicherung bei längerer Arbeitsunfähigkeit/Krankheit werfen.
Die wichtigste Vorsorgegarantie ist zuerst einmal die Krankenversicherung. Im Falle von 90 % aller Erwerbstätigen ist das die gesetzliche Krankenversicherung.
Von Lohnfortzahlung über Krankengeld bis zur Erwerbsminderungsrente
Deutschland ist laut Grundgesetz ein sozialer Rechtsstaat. Das heißt, dass der Staat seine Bürger:innen für Fälle von existentieller Not absichern und Vorsorge treffen muss.
Wir alle sind in unterschiedlicher Weise von Krankheiten und damit verbundenen Arbeitsausfällen betroffen. Meistens handelt es sich um harmlose Erkrankungen, die nach ein paar Tagen wieder vorbei sind und bei denen die Arbeitsfähigkeit schnell wiederhergestellt ist. Für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit erhalten Arbeitnehmende Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgebenden wie folgt:
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Während eines laufenden Arbeitsverhältnisses, das seit mindestens vier Wochen besteht, zahlt der Arbeitgebende im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen lang den vollen Lohn weiter. Das gilt auch für Auszubildende, Teilzeitbeschäftige, Minijobber:innen, studentische Aushilfen und befristet angestellte Arbeitnehmer:innen. Wer sich allerdings zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit in Elternzeit befindet, hat keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung, da in diesem Fall das Arbeitsverhältnis ruht.
Wann genau die gesetzliche Anspruchsdauer auf Entgeltfortzahlung beginnt, ist davon abhängig, ob der/die Arbeitnehmer:in am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit noch gearbeitet hat oder bereits vor dem Arbeitsbeginn erkrankt ist und daher die Arbeit an diesem Tag nicht aufgenommen hat. Hat der/die Arbeitnehmende am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit noch gearbeitet, bleibt der angebrochene Arbeitstag bei der Berechnung der Sechs-Wochen-Frist unberücksichtigt. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung beginnt daher erst am nächsten Tag. Der/die Arbeitnehmende bekommt somit für die verbleibende Zeit des Arbeitstags, in dessen Verlauf er/sie erkrankt ist, noch das volle Arbeitsentgelt ausgezahlt (= keine Entgeltfortzahlung) und anschließend bis zur Dauer von sechs Wochen sein Arbeitsentgelt fortgezahlt.
Die Anspruchsdauer endet mit Ablauf der Arbeitsunfähigkeit, spätestens nach 42 Kalendertagen. Sollte die Arbeitsunfähigkeit über den 42. Kalendertag hinaus andauern, zahlt die Krankenkasse von diesem Zeitpunkt an Krankengeld.
Fällt die Arbeitsleistung des Arbeitnehmenden am ersten Tag seiner Arbeitsunfähigkeit in vollem Umfang aus, ist der Arbeitgebende berechtigt, diesen Tag in die Sechs-Wochen-Frist einzubeziehen. Der Anspruch endet in diesem Fall mit Ablauf des 42. Tags der Arbeitsunfähigkeit.
Wird das Arbeitsentgelt eines Arbeitnehmenden nicht nach Stunden bemessen, z. B. bei gleichbleibendem Monatslohn oder Gehalt, und erkrankt er/sie an einem arbeitsfreien Tag (z. B. Sonntag), ist der Arbeitgebende ebenfalls berechtigt, diesen Tag in die Sechs-Wochen-Frist einzubeziehen.
Die Begrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf sechs Wochen gilt grundsätzlich für jede Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmenden. Ist eine Arbeitsunfähigkeit abgeschlossen und beginnt – deutlich getrennt – später eine erneute Arbeitsunfähigkeit mit einer anderen Ursache, beginnt mit der zweiten Arbeitsunfähigkeit ein neuer sechswöchiger Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Damit ist man also für den Fall kurzzeitiger Erkrankungen erst einmal abgesichert. Was passiert aber, wenn die Erkrankung über diesen Sechs-Wochen-Zeitraum andauert?
Krankengeld
Sollte die Arbeitsunfähigkeit auch nach sechs Wochen noch bestehen, muss der Arbeitgebende die Einstellung der Lohnfortzahlung der Krankenversicherung seines Arbeitnehmenden mitteilen. Die Krankenversicherung wendet sich dann an den Erkrankten und zahlt ihm das Krankengeld aus. Die Höhe des Krankengeldes ist vom jeweiligen Einkommen abhängig. Es beträgt 70 % des Bruttoverdienstes, aber nicht mehr als 90 % des Nettoverdienstes (§ 47 SGB V). Das Krankengeld wird für max. 78 Wochen gezahlt, das sind rund eineinhalb Jahre und auch nur für einen Zeitraum innerhalb von drei Jahren pro Erkrankung (§ 48 SGB V).
Für den Fall, dass während des Bezuges von Krankengeld eine weitere Erkrankung hinzukommt, wird die Leistungsdauer von 78 Wochen nicht verlängert (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Von den 78 Wochen werden Zeiten abgezogen, in denen der Anspruch auf Krankengeld ruht. Das ist z. B. der Fall, solange der Arbeitgebende das Gehalt fortzahlt (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Die Leistungsdauer verkürzt sich entsprechend. In der Regel gibt es für Arbeitnehmende deshalb nach den sechs Wochen Entgeltfortzahlung noch bis zu 72 Wochen Krankengeld. Das Krankengeld ruht auch während der Elternzeit.
Hat ein neuer Drei-Jahres-Zeitraum begonnen und dasselbe Leiden tritt wieder auf, aufgrund dessen bereits einmal 78 Wochen Krankengeld gezahlt wurde, beginnt der Anspruch auf Krankengeld von vorne.
Endet der Krankengeldbezug endgültig und ist man aus dem Krankengeldbezug ausgesteuert, muss rechtzeitig vorher gehandelt werden! Es gibt dann verschiedene Möglichkeiten:
- Rückkehr an den Arbeitsplatz/eventuell Wiedereingliederung über die Krankenkasse
- Antrag auf Arbeitslosengeld
- Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente
- Antrag einer Altersrente wegen Schwerbehinderung
- Antrag auf Bürgergeld
Grundsätzlich ist die Rückkehr, jedenfalls der Versuch der Wiedereingliederung, eine gute Perspektive für Menschen, die in absehbarer Zeit damit rechnen können, wieder arbeitsfähig zu sein. Der Arbeitgebende hat eine Fürsorgepflicht, die Möglichkeiten für die Weiterbeschäftigung auszuloten und ob Arbeitsplätze eventuell leidensgerecht eingerichtet werden können. Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung und auch das Integrationsamt leisten hier wertvolle Hilfe bis hin zur Finanzierung der Ausstattung des Arbeitsplatzes durch das Integrationsamt.
Arbeitslosengeld
Wer keinen Arbeitsplatz mehr hat, weil dieser z. B. während der langen Erkrankung gekündigt wurde, hat zunächst Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III durch die Agentur für Arbeit. Hier muss unbedingt vor Ablauf des Krankengeldbezuges ein entsprechender Antrag bei der Agentur für Arbeit gestellt werden, um den nahtlosen Bezug der Leistung sicherzustellen.
Nahtlosigkeit
Im Falle einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit kommt es häufig vor, dass die Bezugsdauer des Krankengeldes (78 Wochen innerhalb eines Blockzeitraumes von drei Jahren) bereits ausgeschöpft ist, die Rentenversicherung jedoch noch nicht über einen ggf. gestellten Antrag auf Erwerbsminderungsrente entschieden hat. Für den Bezug von Arbeitslosengeld 1 ist gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III neben den formellen Voraussetzungen auch Voraussetzung, dass der/die Betroffene den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht. Bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit ist dies gerade nicht der Fall, so dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld 1 zunächst ausscheidet.
Um keine Versorgungslücken entstehen zu lassen, hat der Gesetzgeber in § 145 SGB III vorgesehen, dass Anspruch auf Arbeitslosengeld auch eine Person hat, die weiterhin arbeitsunfähig ist, deren Erwerbsminderung aber noch nicht abschließend durch die Rentenversicherung geklärt ist. Hierbei handelt es sich um die sog. Nahtlosigkeitsregelung. Die grundsätzlich erforderliche Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt wird fiktiv unterstellt.
Die Minderung der Leistungsfähigkeit wird durch den Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit überprüft, wobei ärztliche Berichte beigezogen werden und in Einzelfällen auch eine Begutachtung in Auftrag gegeben wird. Voraussetzung ist, dass ein Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt wurde. Andernfalls hat die Agentur für Arbeit gemäß § 145 Abs. 2 SGB III die leistungsgeminderte Person unverzüglich aufzufordern, innerhalb eines Monats einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen. Sofern der zuständige Rentenversicherungsträger bereits über eine mögliche Erwerbsminderung entschieden hat, scheidet eine Anwendung der Nahtlosigkeitsregelung aus. Dem Bezug von Arbeitslosengeld im Rahmen der Nahtlosigkeitsregelung steht indes nicht entgegen, dass ggf. noch ein Arbeitsverhältnis, wenn auch nur noch rein formal, besteht. Entscheidend ist nur, dass der/die Arbeitgebende keine Beschäftigung anbieten kann, die mit den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des/der Betroffenen in Einklang zu bringen ist.
Erwerbsminderungsrente
Ist mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr zu rechnen und von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit auszugehen, muss ein Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente bei der Rentenversicherung gestellt werden. Voraussetzung ist, dass man insgesamt mehr als fünf Jahre zuvor in die Rentenversicherung eingezahlt hat – sowie davon wiederum drei Jahre im Laufe der letzten fünf Jahre. Die Höhe richtet sich nach dem individuellen Rentenanspruch zu einem bestimmten Alter. Dieses Berechnungsalter beträgt seit dem 01.01.2020 das vollendete 67. Lebensjahr. Es muss eine Erwerbsminderung auf Dauer vorliegen, das heißt, die Erwerbsfähigkeit muss auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt so weit gemindert sein, dass nicht mehr als 6 Stunden bzw. mehr als 3 Stunden in irgendeinem Beruf des allgemeinen Arbeitsmarktes und unter Arbeitsplatz typischen Bedingungen gearbeitet werden kann. Es gilt der Grundsatz Rehabilitation geht vor Rente. Das bedeutet, dass zunächst alle Möglichkeiten der Teilhabe, z. B. Durchführung von medizinische Rehabilitationsleistungen, erfolglos ausgeschöpft wurden oder keinen Erfolg versprechen.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen
Nur am Rande sei erwähnt, dass Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, also einem Grad der Behinderung von mindestens 50, einen Anspruch auf eine Altersrente wegen Schwerbehinderung haben. Einzige Voraussetzung sind 35 Versicherungsjahre und ein GdB von 50, der lediglich zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen muss. Versicherte, die die oben genannten Voraussetzungen erfüllen, können zwei Jahre vor der allgemeinen Regelaltersgrenze ihre Rente beziehen, ohne dass dabei Rentenabzüge – die sogenannten Abschläge – anfallen. Nehmen Schwerbehinderte Abschläge in Kauf, können sie sich bis zu fünf Jahren vor der allgemeinen Regelaltersgrenze zur Ruhe setzen. Da die Altersgrenzen für den Rentenstart bis zum Jahrgang 1964 kontinuierlich ansteigen, hängt es vom Geburtsjahr ab, wann der Ruhestand starten kann.
Tipp: Ob ein Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente oder Rente für Schwerbehinderte besteht, die Höhe der Rente und Möglichkeiten des Hinzuverdienstes können den jährlich von der Rentenversicherung versandten Schreiben zum Versicherungsverlauf entnommen werden.
Bürgergeld
Seit 01.01.2023 ersetzt das Bürgergeld das bisherige Arbeitslosengeld II. Es wird vom Jobcenter an alle Erwerbsfähigen ausgezahlt. Im Rahmen der Einführung des Bürgergeldes wurden die Regelbedarfe erhöht. Unter Regelbedarf versteht der Gesetzgeber pauschale Geldbeträge, mit denen alltägliche Ausgaben abgedeckt werden sollen. Dazu zählen z. B. die Kosten für Lebensmittel und Kleidung.
Die Kosten der Unterkunft umfassen die Ausgaben für Ihre Wohnung, also z. B. Miete und Nebenkosten. Mit Einführung des Bürgergeldes werden die Kosten für die Unterkunft im ersten Jahr vollständig berücksichtigt (Karenzzeit). Etwas anderes gilt jedoch, wenn bereits in der Vergangenheit nur die angemessenen Kosten übernommen wurden. Dann werden weiterhin ausschließlich die angemessenen Unterkunftskosten berücksichtigt. Die Heizkosten werden grundsätzlich nur in angemessener Höhe anerkannt.
Achtung: Stromkosten gehören nicht zu den Kosten der Unterkunft. Diese sind im Regelbedarf enthalten. Bis zum 31.12.2023 besteht die Möglichkeit, Bürgergeld für einen Monat zu erhalten, wenn Sie hohe Nachzahlungen bei den Heizkosten oder hohe Ausgaben für Brennstoffe haben.
Bürgergeld wird nur gezahlt, wenn der Lebensunterhalt nicht mit eigenen Mitteln finanziert werden kann. Zu diesen Mitteln zählen neben dem Einkommen auch Vermögen. Mit dem Bürgergeld wird ab dem 01.01.2023 eine Karenzzeit für Vermögen für die ersten 12 Monate eingeführt. Das bedeutet: Vermögen wird nur berücksichtigt, wenn es erheblich ist. Das ist der Fall, wenn die Summe 40.000 Euro für die Antragstellerin oder den Antragsteller übersteigt. Der Betrag erhöht sich um 15.000 Euro für jede weitere Person, die in der Bedarfsgemeinschaft lebt. Selbst genutztes Wohneigentum (Hausgrundstück, Eigentumswohnung) bleibt bei der Ermittlung des erheblichen Vermögens unberücksichtigt.
Die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ein Sozialleistungssystem für Menschen über 65 Jahre oder dauerhaft voll erwerbsgeminderte Menschen. Die Grundsicherung soll den notwendigen Lebensunterhalt sichern, wenn Einkommen und Vermögen nicht ausreichen, und hat vergleichbare Voraussetzungen und Zahlungen wir das Bürgergeld, nur dass es sich an Nichterwerbstätige (Rentner:innen und dauerhaft Erwerbsgeminderte Personen) wendet.